Was soll das?

 

Ich wachte wie in Schweiß gebadet auf, schreckte hoch, mein Puls war gefühlt auf 580, das Atmen fiel mir schwer. Als würde eine tonnenschwere Last auf meinem Brustkorb liegen. Ich habe versucht, mich zu sammeln, den vergangenen Abend, die Nacht in Erinnerung zu rufen.

Jörn war gestern Abend bei mir. Es war ein netter Abend – so nett, dass Jörn über Nacht blieb. Ok, nicht die ganze Nacht, denn er war nicht mehr da, wie ich mit einem Hauch von Erleichterung feststellte. In meinem Bett saß nur ich, mein dicker Kopf, der sich anfühlte, als würde er gerade Kirmes feiern, und irgendetwas, das mir die Luft zum Atmen abschnürte.

Ich stehe auf, trottete in die Küche, um mir einen starken Kaffee zu kochen. In meinem Kopf tobte die Kirmes weiter, gefühlt fuhr ich Breakdancer. Ich konnte keine klaren Gedanken mehr fassen. Plötzlich tauchten wie auf einer Kinoleinwand Bilder auf. Bilder von mir als etwa Vierjährige, die zu unseren Nachbarn hinüberstapfte. Ich sehe die Gänsewiese, das Stroh, den Gänsestall, den 18-jährigen Sohn der Nachbarn. Zwischendrin flackerten Bilder von der letzten Nacht mit Jörn auf. Ich konnte es nicht einordnen. Schüttelte immer wieder meinen Kopf, in der Hoffnung, diesen Film so ausschalten zu können. Leider ohne Erfolg. Ganz im Gegenteil: Auf einmal stiegen mir auch noch die Gerüche zu den Bildern in die Nase. Das war einfach nur noch gruselig und total schräg.

Ich tigerte durch meine Wohnung wie ein eingesperrtes Tier im Zoo. Dann fiel mir ein, dass ich abends wieder mit Jörn verabredet war. Bei diesem Gedanken wurde mir speiübel. „Bärbel Gröbel! Was stimmt denn nicht mit dir? Du baggerst wochenlang an diesen Typen rum und jetzt wird dir plötzlich schlecht, wenn du nur an ihn denkst? Was soll das?“

Auch im Laufe des Vormittags stellte sich keine Ruhe in meinem Kopf ein. So beschloss ich, die Verabredung abzusagen und dieses Wochenende allein mit meinen wirren und schrägen Gedanken zu verbringen. Vielleicht wird die Kirmes abgebaut und in meinen Kopf kann wieder Ruhe einkehren.

Der Montag kam, das Volksfest war immer noch da. Ich war völlig fertig. Von gutem Schlaf konnte an diesem Wochenende keine Rede sein. Ich brach auch ständig in Tränen aus, ohne wirklich zu wissen, warum. Den Bildern kam ich ebenfalls nicht auf die Spur. Irgendwie wurde alles schlimmer statt besser. Ich war übers Wochenende ein verheultes Nervenbündel geworden und bekam Angst, weil ich nicht wusste, was mit mir los war. Also meldete ich mich auf der Arbeit krank und rief meinen besten Freund Armin an. Zum Glück hatte er heute frei, war recht schnell bei mir, hielt mich erst einmal einfach nur fest – und ich ließ alles los und heulte eine gefühlte Ewigkeit.

Als ich wieder sprechen konnte, erzählte ich Armin von den Ereignissen des letzten Wochenendes. Ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte, meine Gedanken waren schneller als meine Worte. Aber es tat sehr gut, Armin alles anzuvertrauen. Letztendlich war uns beiden klar, dass mir mein Unterbewusstsein etwas in Erinnerung bringen wollte – etwas, das ich wohl seit meiner Kindheit bis zu diesem Wochenende erfolgreich verdrängt hatte.

Armin bat mich, mir Hilfe zu suchen. Das war einfacher gesagt als getan. Meine erste Anlaufstelle war Dr. med. Benzel, mein Hausarzt. Er schaute mich etwas ratlos an, nachdem ich versucht hatte, ihm meinen Gemütszustand zu beschreiben. Augenscheinlich verwirrte ich ihn – zumindest sah er so aus. „Leiden Sie an Depressionen?“, fragte er dann.
Scheiße, Mann, woher sollte ich das wissen? Ich dachte, du könntest mir sagen, was mit mir los ist.
„Ähh … keine Ahnung, nicht dass ich wüsste“, war meine Antwort.

Dann gab er mir eine Liste, auf der sämtliche Namen mit Kontaktdaten aufgeführt waren.
„Also, das Einzige, was ich Ihnen raten kann: Suchen Sie einen Psychologen auf.“ Dabei tippte er mit seinem Zeigefinger auf den Zettel. „Die sind alle in unserem Kreis ansässig und daher gut zu erreichen.“
„Oh, das ist ja etwas“, entgegnete ich, stand auf, reichte ihm die Hand zum Abschied. Ich wollte nur noch raus aus dieser Arztpraxis. „Leiden Sie an Depressionen?“ – Woher soll ich das wissen? Was ist das überhaupt?
„Alles Gute, Frau Gröbel, und viel Glück bei der Therapeutensuche“, rief Herr Dr. Benzel mir noch hinterher.
„Na, vielen Dank auch!“, dachte ich. Wenigstens hatte ich jetzt Kontaktdaten von Leuten, die mir helfen könnten.

Schnell begriff ich, warum mein Hausarzt mir Glück bei der Therapeutensuche gewünscht hatte – bzw. beim Abarbeiten dieser Telefonliste. Entweder hörte ich nur eine Ansage, ich solle meine Nummer hinterlassen und würde zurückgerufen, oder, wenn ich tatsächlich jemanden an die Strippe bekam, wurde mir gesagt, ich würde auf die Warteliste gesetzt – mit der Bitte, alle sechs Wochen anzurufen, um zu bestätigen, dass ich immer noch ein Gespräch mit der/dem Psycholog*in wollte.
Puh … warum ist das so kompliziert? So lange wollte ich nicht warten. Ich musste mit jemandem reden. So schnell wie möglich. Nicht erst in vielleicht sechs bis zwölf Wochen.

Bei meiner Recherche im Internet stieß ich auf die Anzeige der Frauenberatungsstelle Impulse im Nachbarort. „Das klingt doch gut“, sagte ich zu mir selbst, griff zum Telefonhörer und vereinbarte einen Gesprächstermin für die folgende Woche. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich den Hörer auflegte.

Nun, das sollte genügen fürs Erste. Fortsetzung folgt bald.

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Erste Schritte

 

Nun saß ich da, im Wartebereich bei dieser Frauenberatungsstelle. Super nervös und angespannt, aber auch neugierig darauf, wie „so ein Gespräch“ von statten geht. Total schräg alles. Die Dame, die mir die Tür öffnete, hieß mich herzlich willkommen und tat so, als wäre es das normalste auf der Welt, eine Frauenberatungsstelle aufzusuchen. Das tat gut, gab mir etwas Sicherheit. Sie führte mich in ein Wartezimmer, das irgendwie gemütlich war. Auch kein klassisches Wartezimmer wie man es aus Arztpraxen kennt. Es wirkte einladend, schnell schon gemütlich. Meine Augen füllten sich wieder mit Tränen.

Aber genau dafür bin ich jetzt ja hier. Ein ganz tiefer Seufzer kam aus mir heraus. In diesem Moment trat eine Frau zu mir in das Wartezimmer, stellte sich als Sozialpädagogin Frau Paul vor und bat mich ihr zu folgen. Ihre Stimme war freundlich, wirkte beruhigend. Ich trottete hinter ihr her und setzte mich auf einen bequemen Stuhl, den Frau Paul mir zuwies.

Ich wusste zunächst nicht, was ich sagen sollte, wo ich anfangen sollte. „Wie geht es Ihnen?“ Fragte mich Frau Paul mit einfühlsamer Stimme. Wenn ich das wüsste, dachte ich und brach in Tränen aus. Ich kam mir plötzlich total albern vor. Habe ich überhaupt das Recht hier zu sitzen und die Zeit von der Sozialpädagogin in Anspruch zu nehmen? Es gibt Frauen, die wirkliche Probleme haben. Und sich nicht von irgendwelchen Hirngespinsten verrückt machen lassen.

„Ich weiß gar nicht, ob ich hier richtig bin.“ stammelte ich unter Tränen. „Frau Gröbel, es gibt bei uns weder richtig noch falsch. Sie sind hier, weil Sie etwas dazu bewegt hat einen Termin zu vereinbaren. Und das ist gut so.“ Sie reichte mir die Taschentuchbox. Ich zog dankend ein Taschentuch heraus, tupfte meine Tränen aus dem Gesicht und schnäuzte laut hinein.

„Mögen Sie mir etwas von sich erzählen?“ Fragte Sie mit ruhiger Stimme. Dann fing ich langsam an zu reden. Ich erzählte ihr von dem Film den ich gefahren bin. Beschrieb ihr die Bilder, die immer wieder vor meinem inneren Auge auftauchen und wie sehr sie mich verwirrten und ich immer mehr das Gefühl bekam wahnsinnig zu werden. Auch erzählte ich ihr von meiner Idee, dass mein Unterbewusstsein Ereignisse aus meiner Kindheit raus gekramt hat, da sie sich nicht länger verdrängen ließen.

Frau Paul bestätigte mir, dass Kinder sehr gute Verdrängungskünstler sind. Es sei eine von der Natur gegebene Überlebensstrategie traumatisierter Kinder. Sie hält es für durchaus möglich, dass es bei meiner Geschichte auch zutrifft.

Das hieße: Diese Bilder, die ich immer wieder sehe, sind Erinnerungen an eine Situation aus meiner Kindheit. Das würde auch erklären, warum ich den Geruch von Stroh aus dem Stall und den der Gänse so deutlich wahrnehme.

Langsam schließt sich der Kreis. Ich war wie gelähmt, saß da ​​und starrte vor mir hin. Mein Magen zog sich zusammen. Ich spürte wieder diesen Druck auf meiner Brust. Mein Atem wurde kurz und schnell, die Kehle zugeschnürt.

Das alles ist kein böser Traum. Es ist ein zur Realität gewordener Albtraum.

Ich muss hier weg. Raus. An die frische Luft.

Frau Paul sah mich besorgt an. Es fällt ihr offensichtlich schwer, mich so gehen zu lassen. Obwohl meine Zeit längst abgelaufen war, gab Sie mir noch eine Übung mit auf dem Weg, wie man Gedanken ausbruchsicher in einen Tresor einschließen kann. Diese Übung sollte ich immer dann einsetzen, wenn meine Gedanken wieder in diesen Traum drohen abzudriften. Zur Sicherheit schrieb sie mir noch eine Notfall-Telefonnummer, die ich bei Bedarf anrufen könnte. Wir machen einen Termin für die nächste Woche aus und verabschiedeten uns.

Ich lief zwei zusätzliche Runden durch den Stadtpark, bevor ich zu meinem Auto ging. Versuchte meine Gedanken zu sortieren. Das gelang mir aber nicht. Verwirrt und aufgewühlt fuhr ich nach Hause. Dort angekommen, rief ich sofort Armin an. Er war der einzige, dem ich blind vertraute war. Armin stand dann am späten Nachmittag mit einem bodenständigen Menü aus einem Sixpack Bier und einer großen Pizza von unserem Lieblingsitaliener vor meiner Tür. Armin gibt mir ein Gefühl von Sicherheit, wenn er in meiner Nähe ist. Wir verbrachten einen schönen Abend miteinander. Mein Psychoquatsch hatte heute Abend Pause und wurde in den Tresor eingeschlossen.

 

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